Stakeholder Natur – Wenn das Birkhuhn flieht

Ob Schneeschuh-, Skitour oder Freerider – wer im winterlichen Gebirge abseits der Pisten unterwegs ist, dem sei geraten: Achtsam sein! Nicht nur zur eigenen Sicherheit. Auch die Natur erlebt uns ständig mit. Besonders betroffen davon ist das Birkhuhn.

Winter heißt Schnee und Kälte. Das Nahrungsangebot für Tiere ist eingeschränkt. Sie leben im Energiesparmodus. Ein Beispiel ist das vom Aussterben bedrohte Birkhuhn. Dessen Verdauung hat sich auf den Winter eingestellt, gepickt werden Fichten- und Tannennadeln, die es unter dem Schnee findet. Rund 50.000 benötigt es täglich. In den Dämmerungszeiten morgens und abends – dann, wenn Fressfeinde wie der Steinadler nicht unterwegs sind – verlässt es seine Schneehöhle am Waldrand und sucht nach Nahrung, um so bald wie möglich den Minustemperaturen wieder in die um null Grad „warme“ Behausung zu entkommen. Warum das Birkhuhn besonderen Schutz benötigt, und welche Rolle der Wintersport spielt.

So sensibel reagiert das Birkhuhn auf Störungen

„Eine hochsensible Befindlichkeit – dementsprechend fatal kann sich eine Störung für die Vögel auswirken“, sagt Daniela Feige, Gebietsbetreuerin Werdenfelser Land und Staffelseeraum am Landratsamt Garmisch-Partenkirchen. Carvt ein Freerider unglücklicherweise über die Schneehöhle, kann sie einstürzen. Und schlimmstenfalls das Birkhuhn töten. „Durch scharfe Skikanten sind Birkhühner in ihren Schneehöhlen schon geköpft worden“, weiß Feige.

Doch schon die Vibrationen des Skifahrens, die bis zu 100 Meter im Umkreis wahrnehmbar sind, genügten, um das Birkhuhn empfindlich zu stören. „Es stoppt das Fressen, oft 20 Minuten lang.“ Gravierender noch, wenn das Birkhuhn auffliegt, um zu fliehen. Dann verbraucht es bis zu zwölfmal mehr Energie. Findet eine solche Störung in der Abenddämmerung statt, ist die Nahrungsaufnahme für diesen Tag definitiv beendet.

So gefährden soziale Medien den Schutz der Tiere

Flora und Fauna sind empfindlich. Besonders im Winter. Trotzdem suchen Menschen vermehrt das Naturerlebnis, abseits markierter Pisten: „Eine wichtige Rolle spielen die Sozialen Medien“, sagt Feige. Wer kennt sie nicht, die Instagram-Bilder von Geheimtipps, die dann kurz danach keine mehr sind. Umso wichtiger sei es laut Feige, Bewusstsein und Aufmerksamkeit – Awareness – zu schaffen. Und sie appelliert: „Bitte informieren Sie sich vorher, wenn Sie eine Tour ins Gelände planen. Wo liegen Schutz- und Waldwild-Schongebiete? Welche natürlichen Habitate sind zu berücksichtigen?“

Nicht nur das Birkhuhn, auch Rehe und Hirsche reagieren empfindlich auf Stress. Weshalb ihre Fütterungsstellen im Wald am besten gar nicht gestört werden. Und ganz oben sind es Gämse und Steinböcke, die ihre spärliche Nahrung in Karen oder auf Bergrücken finden. Nicht jede Skitour sollte dorthin führen müssen.

Nicht jeder Höhenmeter muss sein

Klaus Pietersteiner ist im Amt der Tiroler Landesregierung für den Waldschutz zuständig. Er kennt das Problem: „Früher ging es auf einer Skitour in einer Spur hoch und in einer Spur runter.“ Heute machen es Carving- und Rocker-Ski leichter, querfeldein mehr zu wagen und „Höhenmeter in jeder Scharte, in jedem Kar zu machen.“ Eine Entwicklung, die er mit Sorge sieht. Es gibt bereits Bereiche, wo für das Birkhuhn und andere Tiere kaum mehr Ruhezonen bestehen.

Dennoch hält er von Verboten nichts: „Es gibt die verbriefte Freiheit, in den Bergen unterwegs zu sein und die Natur zu genießen. Weshalb die Gäste zu uns kommen.“ Er setzt stattdessen auf „Lenkung durch Angebot“. Denn tatsächlich sind festgelegte und gesteuerte Routen mit der Fauna vereinbar, weil sich die Tiere daran gewöhnen und sich entsprechend verhalten. Vermeiden dagegen will er Einzelgänger, die experimentell durchs Gelände streifen. Sie sind es meist, die für schreckhafte Überraschungen in der Tierwelt sorgen.

Dialog und Verständnis sind das A und O

Pietersteiner rät: „Seien Sie vor Ort im Gelände zurückhaltend und beachten Sie die Beschilderung.“ Diese weist Wintersportler auf Schutzzonen, Wildfütterung oder Aufforstungsflächen hin. Außerdem empfiehlt er, die an Parkplätzen von Bahnen oder Liften angebrachten Panoramatafeln zu beachten, die auf Schutzzonen und passende Schneeschuh- oder Skitour-Routen hinweisen.

Zusätzlich setzt er auf Sensibilisierungskampagnen im Netz und Aufklärungsinitiativen wie bergwelt-miteinander.at. „Bei Letzterem arbeitet das Land Tirol eng mit den regionalen und lokalen Beteiligten sowie Partnern wie dem Jägerverband, der Bergrettung oder dem Alpenverein zusammen“, sagt Pietersteiner. Sie entwickeln Konzepte und Spielregeln wie die schon genannten Lenkungsprojekte. Denn: „Dialog und Verständnis führen viel eher zu einer Verhaltensänderung als Verbote.“ Sein Ziel ist ein gelungener Kompromiss zwischen Freizeiterlebnis und Schutzbedürfnis der Natur.

Naturschutzwächter klären auf

Die deutsche Seite der Zugspitzregion setzt zusätzlich auf Ranger und ehrenamtliche Naturschutzwächter, organisiert von Daniela Feige. Sie aktualisieren Beschilderungen, weisen vor Ort Routen aus oder sensibilisieren Besucher etwa in der Nähe von Birkhuhn-Habitaten. Und sie erklären Hintergründe, warum vom Wind freigeblasene Flächen eher gemieden werden sollten (Äsungsflächen), warum Waldränder heikel sind (Birkhuhn), warum vermeintliche Waldschneisen mit Schnee nicht automatisch eine Passage sind (meist Jungpflanzen- oder gar Baumschulflächen) oder warum auf Aktivitäten in Dämmerungszeiten verzichtet werden sollte (Tierwelt nahrungsaktiv).

Ebenso auf zu viel Stirnlampenlicht bei Nachtwanderungen. Und was Tourengeher angeht, halten sie wie ihre österreichischen Kollegen eine alte Bergsteigerweisheit parat: Am Zielt ist man spätestens um 14 Uhr – um mit genug Zeit abzufahren, Zeitreserven im Fall eines Unfalls zu haben und die Fauna in der Dämmerung nicht zu beeinträchtigen.

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