Es ist der Abend vom 20. Juni 2020. Auf der Terrasse unten im Tal sitzt es sich sehr gemütlich. Die Sonne ist hinter den Gipfeln der umliegenden Berge verschwunden. Doch was ist das? Dort, wo wir eine massive Felswand wissen, glimmt mitten im Dunkel ein Lichtpunkt auf. Sekunden später folgt der nächste. Bevor man es sich versieht, erstrahlt am Berg ein mächtiges Lichtgemälde. Bald gesellen sich weitere hinzu und über kurz oder lang scheinen rundherum Zeichen, Symbole und Bilder zu schweben, sogar an einigen Bergraten ziehen sich Lichterketten entlang.
Die Bergfeuer in Ehrwald, Lermoos und Biberwier haben eine lange Geschichte. Im Kalender sind sie rund um das Sonnwendfest verankert, manchmal auch mit dem Johannitag verbunden, der einem der wichtigsten Heiligen des Christentums gewidmet ist. Der Brauch ist in der Alpenwelt verbreitet, aber als Einzige haben die Ehrwalder Bergfeuer 2010 die Aufnahme ins nationale Verzeichnis des immateriellen UNESCO Kulturerbes in Österreich geschafft. Sie gelten als beispielhaft für überliefertes Wissen und lebendiges Brauchtum.
Dass zur Jahresmitte hin die Sonnwend- und Johannifeuer aufflammen, die symbolisch das lange Licht des Tages in die Nacht hineintragen, geht auf heidnische Bräuche zurück. Genauso wie die Feuerwerke und Böller zu Silvester sollten sie den bösen Geistern „heimleuchten“. Dass dabei auch ganz praktische Arbeiten aus der Land- und Forstwirtschaft erledigt wurden, wie das Beseitigen alten Astwerks vom Baumschnitt oder ausgerodetes Unterholz und Buschwerk, tat dem mystischen Beiklang keinen Abbruch.
Unter dem Namen Herz-Jesu-Feuer erinnert die flammenreiche Tradition übrigens an den Widerstand gegen Napoleons Truppen, angeführt von Andreas Hofer, der um seines Sieges willen das Land Tirol „dem heiligsten Herzen Jesu widmeten“. Er und seine Unterstützer nutzten ihre Kenntnis der Wege im Gebirge, um sich durch nächtliche Feuersignale zu verständigen. Die sogenannten Kreidefeuer an weithin sichtbaren Plätzen warnten vor dem herannahenden Feind. Die nächtlichen Sommerfeuer, die am jährlichen Herz-Jesu-Fest aufleuchten, sind eine Erinnerung an diesen Teil der Geschichte.
So umfasst die Tradition der Sonnwendfeuer in Tirol und speziell in Ehrwald bereits zwei Jahrhunderte. In der jetzigen Tradition gehen sie auf das Jahr 1948 zurück, als anlässlich der Glockenweihe in der Ortschaft erstmals nach dem Krieg wieder Feuerzeichen leuchteten. Heute sollen die Bergfeuer auch ein Zeichen gegen die Zerstörung der Natur und der Alpen setzen.
Es sind in der Regel rund 300 Ehrenamtliche, die diese Feuer am Brennen halten. Sie kommen aus verschiedenen Ortsvereinen und Familien. Bei manchen von ihnen reicht die Teilnahme schon viele Generationen zurück. Sowohl die Herstellung der Brennkörper als auch die Vorgehensweise beim Aufbau der Figuren und die optimale Platzierung im Gelände werden von den Älteren an die Jüngeren weitergegeben.
Erfahrung spielt eine große Rolle, denn „Probefeuer“ gibt es nicht. Auch ist es Brauch und Sitte, die immer wieder wechselnden Motive geheim zu halten. Das verstärkt den Überraschungseffekt für das Publikum und die anderen Gruppen. Lohn der Mühe ist der Applaus der Zuschauer, der nach dem Abbrennen der Feuer die Beteiligten empfängt, die vom Berg zurückkehren.
Als die besten Plätze, um in der Tiroler Zugspitz Arena möglichst viele Feuer in ganzer Pracht zu sehen – dieses Jahr am 20. Juni – gilt das Moos , die Ebene zwischen den Orten Ehrwald, Lermoos und Biberwier, wo man das Panorama rundum genießen kann. Zahlreiche Restaurants bieten außerdem spezielle Bergfeuer-Abende an.
Die mit den Feuern verbundene Mühe ist enorm, reichen einzelne Motive doch bis über 2.000 Meter Höhe hinauf. Und nicht überall führt ein bequemer WEb hin. Damit die Bilder optimal im Gelände aufgebaut sind, bewegen sich die Helfer über Stock und Stein und schmale Pfade, um die rund 10.000 Brennpunkte in die richtige Position zu bringen.
Anfangs wurden nur vereinzelt Motive dargestellt, während oft auch nur einfache Feuer brannten. Durch die Verwendung von maßstabsgetreuen Zeichnungen sowie die Einbeziehung der Geländestrukturen in die Planung, hat sich die Tradition weiterentwickelt und perfektioniert. Während die Feuerbilder einst mühselig am Zeichenbrett entworfen und geplant wurden, nutzen die Lichtkünstler heute auch schon mal digitale Zeichenprogramme als Unterstützung. Mitunter entstehen so inzwischen erste Schritte zur räumlichen Darstellung.
Aber auch die verwendeten Brennmaterialien haben sich verändert: Anstelle von wenig umweltfreundlichen Altreifen oder Dieselöl brennen heute ausschließlich mit Rapsöl getränkte Sägespäne. Anstelle von Blechdosen, in denen das Brenngut an Ort und Stelle aufgestellt wurde, nutzen die Feuerkünstler heute rückstandsfrei verbrennende Pappbecher oder Säcke. Und so bleiben am Ende nur noch flammende Erinnerungen – bis zum nächsten Jahr
IMPRESSIONEN findest du hier: https://www.zugspitzarena.com/de/Blog/Sonnwendfeuer_bba_153109