Im Winter von 2018 auf 2019 war es wieder so weit: Eine mächtige Lawine hatte sich gelöst und das „Ende der Welt“ vom „Rest der Welt“ abgeschnitten. Die Tiroler in Mitteregg waren auf sich selbst und ihre Nachbarn angewiesen. Auf den Dächern des kleinen Weilers „lagen gut zwei Meter Schnee und den Weg von Haus zu Haus mussten wir auch erst freischaufeln“, erinnert sich Mathias Bonapace. „Da hat das ganze Dorf zusammengeholfen. Für alle hier ist es ganz normal, so zu leben.“
Mitteregg in Tirol – das Ende der Welt
Das ganze Dorf, das sind 17 Menschen. Seine Frau Marlene ist dort aufgewachsen, bevor sie für acht Jahre nach Wien zum Studieren ging und Tierärztin wurde. In dieser Zeit lernte sie auch Mathias kennen, der im Rettungsdienst arbeitet. Vor zwei Jahren haben sie geheiratet und sind in ihre Heimat ins Tiroler Mitteregg zurückgekehrt. Dorthin also, wo nach einer guten Stunde Wanderung hinter Berwang die in den Himmel ragenden Berge den Horizont verstellen. So mächtig sehen sie dabei aus, dass man sich vorkommt wie am Ende der Welt – woraus Mitteregg kein Geheimnis macht. Im Gegenteil trägt es diesen Titel aus Überzeugung.
Auf der Suche nach mehr Lebensqualität
Zurückgekehrt ist das junge Paar, weil die Nähe zur Natur und das familiäre Miteinander im Dorf eine Lebensqualität bieten, die man woanders lange suchen muss und fast nie findet. Schon als Kind hat der gelernte Zimmerer, der ebenfalls in einem Tiroler Dorf groß wurde, seine Begeisterung für die Natur entdeckt. „In der Stube sitzen und am Computer spielen, das war nichts für mich.“ Er war stets mit seinem Großvater anzutreffen, der tagaus, tagein auf den Feldern, Wiesen und im Wald unterwegs war. „Ich war als Kind schon lieber mit dem Großvater draußen in der Natur“, erzählt er. „Diese Leidenschaft kann ich hier jeden Tag ausleben.“
Marlene und er haben die Gelegenheit genutzt, als ein alter Bauernhof im Tiroler Mitteregg zum Verkauf stand, dessen Landwirtschaft schon seit einem Vierteljahrhundert ruht. Die Grundmauern lassen sich bis aufs Jahr 1640 zurückdatieren, ein Zeugnis dafür, wie lange sich schon Bergbauern des Landes annehmen. „Es ist interessant zu sehen und darüber nachzudenken, wie man das früher alles gemacht hat“, sagt Mathias. „Man hat Höfe und Dörfer auch an entlegenen Stellen gebaut und bewirtschaftet, weil man die Gelegenheit gesehen hat, mit eigener Arbeit etwas daraus zu machen. Und trotzdem war es oft ein bitteres Überleben.“
Das nächste große Projekt der beiden
Von dort wird auch der Grundbaustein für das nächste große Projekt von Marlene und Mathias kommen: die Aufzucht von Ziegen. In der Tiroler Region um Mitteregg ist eine traditionelle Rasse zu Hause: die Blobe-Ziegen. Eine eigene Herde wollen sie aufbauen, um sich damit Arbeit und Ertrag auf den Hof zu holen. Wobei Mathias einräumt: „Davon könnten wir nicht leben. Das ist nur ein Nebenerwerb.“
So wird Marlene weiter als Tierärztin praktizieren und er im Rettungsdienst arbeiten. Dass ihnen dabei die Zeit knapp werden könnte, darüber machen sie sich keine Sorgen. „So schwach, wie hier die Internetverbindung ist, droht uns nicht zu viel Ablenkung“, schmunzelt Mathias. „Wer in Mitteregg lebt und arbeitet, hat einen eigenen, entspannten Tagesrhythmus – und außerdem die Natur als Lebensinhalt.“