Bergrettung Ehrwald | © Bergrettung Ehrwald

Die Bergrettung: Schutzengel in den Bergen

Bei Unfällen am Berg wird die Bergrettung gerufen. Über ihre Arbeit und was sich die Profis von ihren "Patienten" wünschen, sprechen Regina Poberschnigg und Markus Wolf.

Ein scharfes Stechen. Das rechte Bein. Bestimmt verstaucht. Vielleicht sogar mehr. Annemarie verzieht das Gesicht vor Schmerz. In 2.300 Metern Höhe steckt sie fest. Und jetzt?
 
Annemarie ist passionierte Bergsportlerin - doch manchmal hat sie einfach Pech. Wie bei ihrer Tour am Wochenende, bei der sie mit dem rechten Bein abgerutscht ist und jetzt nicht mehr weitergehen kann – geschweige denn zurück. Wer sich wie sie im alpinen Gelände verletzt oder unwohl fühlt, der sollte möglichst zeitnah die Bergrettung rufen. Denn meist kann man selbst nicht einschätzen, wie ernst die Lage eigentlich ist.
 
Außerdem vergessen viele, dass die Bergrettung im Vergleich zum urbanen Rettungsdienst deutlich länger braucht, bis sie beim Patienten ankommt: Haben die Retter in Großstädten die Vorgabe, binnen zehn Minuten am Unfallort zu sein, gibt es solche Regelungen für die Kollegen der Alpinregionen nicht. „Für uns wäre das einfach nur Wahnsinn, weil wir extrem auf unseren Eigenschutz aufpassen müssen. Unter Zeitdruck vergisst du alles Wichtige und gefährdest am Ende nicht nur dich selbst, sondern auch die Kollegen und Patienten“, weiß Regina Poberschnigg. Sie ist die Ortsstellenleiterin der Bergrettung Ehrwald und bereits 20 Jahren dabei. Außerdem ist sie eine echte Pionierin auf dem Gebiet: Sie war die erste Frau überhaupt, die bei der Bergrettung Tirol aufgenommen wurde. Dafür mussten damals erst einmal ein paar Gesetze geändert werden.

Attraktivität der Berge wächst – zahllose Unfälle inklusive

Laut Regina zieht es immer mehr Menschen in die Berge. Woran sie das merkt? Es kommt teilweise zu unverhältnismäßig vielen Einsätze. „Die Leute werden immer sportlicher. Außerdem hat man hier so viele Möglichkeiten: Mit den E-Bikes hochfahren ist ein aktueller Trend, aber Wandern und Bergsteigen sind nach wie vor beliebt. Und gerade jetzt, wo in den Bergen noch Schnee liegt, sind es natürlich auch die Skitourengeher, die bei uns unterwegs sind.“

Dabei liegen die vielen Einsätze nicht unbedingt an der Ausstattung der Sportler. Markus Wolf, Bezirksleiter der Bergrettung Reutte und Leiter der Ortsstelle Berwang/Namlos, betont: „Gerade die Bergsteiger und Kletterer sind heute sehr gut ausgerüstet.“ Allerdings sehe das bei den Wanderern anders aus, denn sie überschätzen oft sich selbst, unterschätzen die Tour oder haben schlichtweg zu wenig Kleidung und Verpflegung dabei: „Ein warmer Tee gehört immer in den Rucksack, auch im Sommer“, rät Markus. Denn die Urlauber vergessen meist, dass es am Fuße des Berges zwar warm sein kann, in 2.000 Höhenmetern aber ganz andere Temperaturen herrschen.

Bergrettung: "Wir werden lieber zu früh als zu spät gerufen"

Leider gibt es aber nicht nur die Erschöpfungsopfer: „Wenn wir Klettereinsätze haben, sind das nicht selten Abstürze oder schwere Verletzungen. Das kann dramatische Auswirkungen haben, wenn wir als Retter nicht aufpassen, was wir machen“, weiß Markus. „Es sagt sich nämlich leicht: ‚Der hat sich nur den Haxn gebrochen.‘ Aber wenn der Oberschenkel gebrochen ist, können rund drei Liter Blut versickern. Das wird binnen weniger Minuten lebensgefährlich!“

Beide Experten sind sich einig: Lieber rechtzeitig die 140 wählen, als zu spät. Denn auch leichte Verletzungen können den ungeübten Bergbesucher überfordern. Außerdem wird es in den Bergen schneller dunkel – nicht selten können die Retter dann nicht mehr in den Hubschrauber steigen. Der Aufstieg dauert somit deutlich länger und das Gebiet sucht sich im Dunkeln und vom Boden aus langsamer und schwerer ab.

Ein Geheimtipp von Markus und Regina ist die Notfall-App der Bergrettung Tirol: Die kann man sich kostenlos herunterladen und man muss dann nur noch einen Knopf drücken, um direkt verbunden zu werden. Mittels GPS wird der Standort weitergeleitet und die Retter wissen sofort, wo sie suchen müssen. Außerdem ein wichtiger Hinweis der beiden: Durch eine Bergung entstehen teilweise extrem hohe Kosten, denn das übernehmen die Krankenkassen nicht. Deshalb sollte man sich vor einem Ausflug unbedingt Gedanken über eine geeignete Bergeversicherung machen. Ein Vorteil für Förderer der Bergrettung Tirol: Hier ist ein weltweiter Bergeversicherungsschutz inklusive.

Wie kommt die Bergrettung zum Patienten?

Doch was passiert, wenn's doch mal passiert? Wird der Leitstelle ein Notfall gemeldet, werden umgehend die Bergretter alarmiert. Diese finden sich schnellstmöglich in ihrer jeweiligen Ortsstelle ein und machen sich bereit. Selbst für kleinere Einsätze werden laut Regina mittlerweile immer Teams von mindestens drei Personen losgeschickt, denn in der Vergangenheit habe man die Lage teilweise unterschätzt. Und natürlich gilt: Je schlimmer die Ausgangssituation, desto mehr Retter. Ausrüstung gibt es genug zu tragen: ein Bergerucksack, eine Trage für den Abtransport, zwei Seile mit jeweils 200 Metern. Außerdem ein Zelt, falls man nicht sofort absteigen kann, Bohrmaschinen, wenn man einen Stand bohren muss, Karabinerrollen und -haken und die medizinische Erste-Hilfe-Ausrüstung sowie das Wärmemanagement. Gerade Letzteres ist ein sehr wichtiger Punkt für die Retter, denn ein geschwächter oder verletzter Körper verliert schnell an Wärme

Immer Eile, aber niemals Hektik

Wenn man ein Teilstück der Strecke mit der Gondel oder den Pistenfahrzeugen zurücklegen kann, dann greift die Bergrettung darauf zurück. Allerdings gilt: Man fährt nur so weit, wie man auch zurückfahren kann, ohne die eigene Sicherheit zu gefährden. Die jüngeren und fitteren Retter gehen als Vorhut voraus und kümmern sich um die Erste Hilfe. Brauchen kann man bei der Bergrettung aber jeden: Denn nicht nur schnell oder sportlich muss man sein, auch technisches Geschick und Kraft sind wichtig. Beim Patienten angekommen wird alles dafür getan, ihn wieder auf den Damm zu bringen. In diesem Fall unsere Annemarie. Ihr Knöchel ist laut Expertenmeinung nur verstaucht; Herunterlaufen geht trotzdem nicht mehr. Deshalb wird sie in eine Decke gewickelt, auf die Trage gelegt und vom Team der Bergrettung Tirol sicher zurück ins Tal gebracht. Das ging ja gerade noch einmal glimpflich aus!

Übrigens: Regina Poberschnigg und Markus Wolf standen uns noch zu mehr Themen Rede und Antwort. Das spannende Interview findest du in der GRENZENLOS Ausgabe Winter 2017/18. Die kannst du abrufen in der kostenlosen GRENZENLOS App (für Android oder iOS) oder hier als Browser-Version.

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